13.08.2012 • Montag
Angesichts der öffentlichen Debatte um die Sicherheit im deutschen Fußball und die Verabschiedung eines Kodex beim Sicherheitsgipfel in Berlin positioniert sich die AG Faninteressen der Fan- und Mitgliederabteilung des 1. FC Union Berlin in Form eines offene Briefes an das Union-Präsidium, den wir hier in voller Länge veröffentlichen.
Stellungnahme der Fan- und Mitgliederabteilung (FuMA) des 1. FC Union Berlin anlässlich des Sicherheitsgipfels vom 16./17. Juli 2012
Die Fan- und Mitgliederabteilung des 1. FC Union Berlin nimmt in diesem Schreiben anlässlich des bei der Sicherheitskonferenz von DFB/DFL zur Unterschrift vorgelegten und, mit Ausnahme des 1. FC Union Berlin, von allen Vereinen der 1. bis 3. Liga unterzeichneten „Verhaltenskodex“ wie folgt Stellung:
Der vorgestellte „Verhaltenskodex“ wird in seiner Diktion, seinem Inhalt und seiner Wortwahl der wirklichen Problematik innerhalb des deutschen Fußballs nicht gerecht, denn ohne dass grundlegende Elemente eines kooperativen sozialen Miteinanders, wie Dialog oder Prävention darin auch nur Erwähnung finden, ist er ein falsches Signal in einer Zeit, in der richtige Signale notwendig gewesen wären.
Aus diesen Gründen, vor allem wegen der nicht gegebenen, vielleicht auch nicht erwünschten Möglichkeit der Diskussion – sei es auf Vereins- oder Fanebene – stehen wir vorbehaltlos hinter der Ansicht des Präsidiums des 1. FC Union Berlin und sehen sein Nichtunterschreiben dieses Schriftstücks im Sinne eines lösungsorientierten Dialogs als alternativlos an.
Der durch die Handlungen von DFB und DFL offenbarte Wunsch nach der Deutungshoheit des Begriffs „Fußballfan“ kann von uns nicht anerkannt werden. Fußballfans sind eine nicht-normierbare und höchst heterogene Gruppe, die sich begriffsnotwendig selbst konstituiert – Fußballfan wird man aus Leidenschaft und Liebe zum Sport oder Verein. Aus der Menge der Fußballfans können nicht per Dekret oder per Dialogverweigerung einzelne Personen oder gar Gruppen von Personen per se ausgeschlossen werden. Die nicht nur im Vorfeld der Sicherheitskonferenz, sondern vor allem auch in dem Umgang mit dem vorgelegten Schriftstück zur Schau gestellte Haltung von DFB/DFL gegenüber dem sozialen Phänomen Fußballfan kann in großen Teilen nur als antidemokratisch, unsozial und vor allem nicht nachhaltig oder lösungsorientiert bewertet werden.
Keine Sanktion und auch kein unilateraler Kodex können den Dialog ersetzen. Keine Erklärung kann am Anfang des Dialogs stehen – sie muss Ergebnis des Dialogs sein. Eine Erklärung ohne Dialog zu unterzeichnen, kann daher nicht dem Interesse eines Fans, eines Vereins und aus unserer Sicht auch nicht dem von DFB/DFL entsprechen. Denn ohne Dialog kann und wird es keinen gesellschaftlichen Konsens geben, der zur gemeinsamen Lösung der existierenden Probleme jedoch unabdingbar ist.
Wir, die Fans, sind nicht nur bereit, sondern wir fordern eindringlich eine Wiederaufnahme des grundsätzlich themen- und ergebnisoffenen Dialogs zwischen Fans, Vereinen und DFB/DFL. Ebenso wollen wir uns jedoch auch offen zu den vermehrt ohne Fanbeteiligung diskutierten Themen positionieren:
(1) Was Fankultur ist, wird nicht „von oben“ bestimmt oder normiert. Fankultur ist das, was Fans im Rahmen von Fußballspielen tun, was von Fans mehrheitlich gestaltet und gelebt wird. Fankultur entwickelt sich daher „von unten“. Fankultur muss sich im Rahmen geltenden Rechts bewegen.
(2) Stehplätze sind ein unverzichtbarer Teil dieser Kultur.
(3) Gewalt lehnen wir strikt ab – auf dem Platz, im Stadion und außerhalb. Der Einsatz repressiver Mittel gegen Gewalt greift jedoch zu kurz. Um Gewalt zu begegnen, ist vielmehr besonderer Wert auf Prävention, auf Einbeziehung und auf Dialog zu legen.
(4) Es muss einer Entwicklung entgegengewirkt werden, welche die überwiegend besonnenen Kräfte unter den Fans verprellt und ihnen damit die Möglichkeit nimmt, aus sich heraus die Friedfertigkeit der Fankultur zu bewahren.
(5) Sanktionen dürfen daher nicht nach dem „Gießkannenprinzip“ eingesetzt werden. Das Schädigen oder Einschränken der großen Masse Unschuldiger (siehe 4.) ist unbedingt zu vermeiden.
(6) Sanktionen können nur unter Einbeziehung der Vereine angewandt werden, sie müssen zudem geltendem Recht entsprechen und stets das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wahren.
(7) Das Gewaltmonopol obliegt dem Staat. Sanktionen, die dessen Sanktionspraktiken übersteigen, sind kritisch zu hinterfragen. Auch Stadionverbote unterliegen einem strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
(8) Da es durchaus Beispiele für den legalen Einsatz von pyrotechnischen Erzeugnissen bei öffentlichen Veranstaltungen gibt, ist die abrupte Verweigerung von Gesprächen inakzeptabel – es muss auch beim Thema Pyrotechnik die Wiederaufnahme des ergebnisoffenen Dialogs möglich sein.
(9) Die konstruktive Kraft und die Kreativität, die in vielfältiger Weise und mit zahllosen positiven Beispielen aus dem sozialen Phänomen und Netzwerk der Fußballfans erwächst, ist ein zu schützendes Gut.
Die Fan- und Mitgliederabteilung arbeitet eng mit dem Präsidium des 1. FC Union Berlin zusammen und sie befindet sich zudem in ständigen konstruktiven Gesprächen mit themenrelevanten Personen, Institutionen und Gremien, wie beispielsweise dem Berliner Fußballverband, der Polizei oder auch der Politik. Unsere Erfahrung zeigt, dass der Dialog mehr als jedes andere Mittel zu konkreten und sinnvollen Problemlösungen beiträgt. So wurde durch Diskussionen mit Verein, Polizei und Fanbetreuung ein alternatives Modell zum Umgang mit von Stadionverboten bedrohten Jugendlichen geschaffen, bei dem vor dem finalen und soziologisch höchst problematischen Entfernen des Jugendlichen aus seinem Umfeld in Anti-Gewalt-Seminaren über Fehlverhalten reflektiert und die Chance zur Bewährung eingeräumt wird.
Ebenso sind Fan- und Mitgliederabteilung, Verein und Vertreter der Initiative „Pyrotechnik legalisieren“ aus der Unionfanszene in konkreten Gesprächen. Innerhalb der Zuschauer- und Mitgliedschaft des 1. FC Union Berlin sollen belastbare Daten zur Akzeptanz einer möglichen Lockerung des Pyrotechnikverbots unter Beachtung der gesetzlichen Rahmenbedingungen erhoben werden. Diese Datenerhebung wird für alle Parteien einvernehmlich bindend sein.
Bestärkt nicht nur durch diese Beispiele positiver Erfahrungen hoffen und freuen sich die Fans und Mitglieder des 1. FC Union Berlin auf die Wiederaufnahme der Gespräche auf allen Ebenen und zwischen allen Beteiligten. Im Sinne des Sports, im Sinne seiner Fans, im Sinne von Vereinen und Verbänden und immer mit dem Dialog als erstes, wichtigstes und alternativloses Instrument.
* Wir unterstützen diese/unsere Stellungnahme ! EUFC Nr. 67 Eiserne Botschafter. Der Präsident Matti Michalke